Jenseits von prekär: Kunstmachen in Berlin

Einfach so eins zu eins eine Pressemitteilung veröffentlichen? Ein guter Kunstblog tut das nicht. Untenstehend also die Copy-Paste-Veröffentlichung der Pressemitteilung zu einer Studie über die Situation von KünstlerInnen in Berlin, denn die darin genannten Zahlen wirken für sich, die muss man nicht in Interpretations-Blabla einbetten. Der Text ist recht lang, deshalb hier die tltr-Version: Kunst machen lohnt sich finanziell gesehen für Frauen noch weniger als für Männer, und in Berlin noch mal weniger als anderswo. Für tiefergehend Interessierte hier die Mitteilung in voller Länge:

Heute hat das Institut für Strategieentwicklung (IFSE) zusammen mit dem Kooperationspartner, dem berufsverband bildender künstler*innen berlin, in der Stiftung Brandenburger Tor die Ergebnisse seiner Studie über Künstler*innen in Berlin veröffentlicht. Nach der ersten Studie 2011 mit einem Schwerpunkt auf Räume und Stadtentwicklung wird nun der Gender Pay Gap in der Bildenden Kunst näher beleuchtet.

Schon die bundesweite Studie des IFSE über Kunstgalerien zeigte, dass Frauen in Kunstgalerien stark unterrepräsentiert sind. Dieses Bild hat sich kaum verändert. In der aktuellen Studie über die Künstler*innen in Deutschlands wichtigster Stadt für Bildende Kunst ist die durchschnittliche Anzahl von Einzelausstellungen bei Männern insgesamt 22% höher. Das diesjährige Gallery Weekend Berlin an diesem Wochenende in Berlin mit einem „Gender Show Gap“ von über 40% macht da keine Ausnahme.

Der sogenannte Gender Pay Gap liegt in der Berliner Kunstwelt bei 28% und damit über dem allgemeinen Durchschnitt von 21%. Wobei sich der eigentliche Skandal hinter dieser Zahl verbirgt: Die durchschnittliche Höhe der Einkünfte aus künstlerischer Arbeit liegt bei gerade einmal 9.600,- Euro pro Jahr, die Hälfte aller Künstler*innen verdient mit ihrem Beruf weniger als 5.000,- Euro. Während Männer im Jahr 11.662,- Euro verdienen, beträgt der Verdienst von Frauen nur 8.390,- Euro. So ist der Großteil der Künstler*innen auf andere Einkommensquellen angewiesen. Für 80% ist ihre künstlerische Arbeit ein Verlustgeschäft. Insgesamt bezieht nur jede zehnte Künstler*in ihr gesamtes Jahreseinkommen aus der künstlerischen Arbeit, 13% der Männer und 8% der Frauen. Die Studie zeigt zudem, dass 90% der Künstler*innen später nicht von ihrer Rente leben können. Die durchschnittliche Rentenerwartung der Künstler*innen liegt bei 357,- Euro, wobei über die Hälfte aller Künstler*innen weniger als 280,- Euro erwarten. Ein alarmierender Wert.

Frauen bekommen diese prekäre Lage besonders zu spüren. Sie verdienen nicht nur weniger als die Männer. Sie haben einen größeren Anteil an der Kindererziehung und wenn es zur Trennung kommt, ist in neun von zehn Fällen der alleinerziehende Elternteil die Mutter. Hier weicht der Kunstbereich nicht vom Bundesdurchschnitt ab. Unter den ohnehin prekären Verhältnissen in der Kunst bedeutet das oft, dass sich Kind und Karriere ausschließen. So überrascht es nicht, dass die Hälfte der Frauen ihren Kinderwunsch aufgrund ihrer beruflichen Situation zurückstellen. Die familiäre Situation beeinflusst die berufliche Entwicklung bei Frauen stärker als bei Männern. 70% der Frauen und nur 25% der Männer erfahren eine berufliche Benachteiligung aufgrund ihrer familiären Situation.

Wie anderswo spiegelt sich die immer noch ungleiche gesellschaftliche Stellung der Frau auch im Kunstbereich in den Zahlen, die wir zum sexualisierten Machtmissbrauch erhoben haben. Fast ein Drittel der Frauen geben an, sexuell belästigt worden zu sein, bei den Männern sind es 9%. Die Hälfte davon haben die Vorfälle auf sich beruhen lassen.

„Die meisten Zahlen waren zu erwarten, allerdings hat mich alarmiert, wie niedrig die Rentenerwartung der Künstler*innen tatsächlich ist. Ebenso erschreckend sind die von Künstler*innen geschilderten Erlebnisse im Zusammenhang mit dem sexualisierten Machtmissbrauch“, sagt Studienautor Hergen Wöbken. Nun gehe es darum, die Benachteiligung von Frauen, drohende Altersarmut und die insgesamt prekäre Lage der Künstler*innen zu überwinden. Er wünscht sich ausgehend von den Studienergebnissen einen Dialog über vielfältige Ansätze zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation von Künstler*innen und bekräftigt damit seine Forderung nach einem Entwicklungsplan zur Gegenwartskunst, der Ziele auf eine Sicht von zehn Jahren entwickelt und umsetzt. Dieser Entwicklungsplan kann und soll die Gegenwartskunst und ihre Akteure nicht festlegen, sondern Rahmenbedingungen und Perspektiven für fruchtbare Entwicklungen schaffen.

Hergen Wöbken empfiehlt seiner Stadt, dem New Yorker Beispiel zu folgen. Seit 2017 hat New York City einen ersten umfassenden Kulturplan in der Geschichte der Stadt veröffentlicht. Eine Gruppe von Künstler*innen und Aktivist*innen haben als Antwort die eigene Version eines Kulturplans vorgelegt. Berlin ist nach New York weltweit der wichtigste Produktionsstandort für Gegenwartskunst. Die Stadt müsse diesen Kultur-und Wirtschaftsfaktor stärker pflegen, sagt Wöbken. Aktionismus sei jedoch nicht die Antwort. „Wir wünschen uns Besonnenheit im Umgang mit den Ergebnissen und keine Schnellschüsse, weder in der Bewertung noch in der Frage nach den Implikationen.“

1.745 Künstler*innen haben an der Studie teilgenommen, damit eignen sich die repräsentativen Ergebnisse als Grundlage für Maßnahmen der Kulturpolitik. Das Alter beträgt im Durchschnitt 47 Jahre. Die teilnehmenden Künstler*innen haben in den letzten drei Jahren zusammen etwa 3.200 Einzelausstellungen gehabt und waren an fast 10.000 Gruppenausstellungen beteiligt, davon fanden jeweils 40% in Berlin statt.

Die Studie des IFSE wurde von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Geschäftsstelle Gleichstellung sowie von boesner Berlin unterstützt.