Dieser Tage feiert die Amüsierinstitution Clärchens Ballhaus ihren 100. Geburtstag. Ein ganz ähnliches Etablissement, Fritz Schmidts Restaurant und Ballsaal, wäre heute schon etwas älter, wurde aber irgendwann in den 1930ern geschlossen und vergessen. Bis es vor kurzem wiederentdeckt wurde. Und das ist schön und traurig zugleich.
Unter dem Motto „Secret Garden“ wird das ehemalige Varietétheater in der Gartenstraße seit zwei Jahren und aktuell zum letzten Mal als temporärer Ausstellungsort genutzt, bevor es für die Sanierung geschlossen wird. Danach wird nichts mehr so sein, wie es war. Beziehungsweise, danach wird es genauso sein, wie es bei allen Gebäuden ist, die lange genug vergessen und ungenutzt vor sich hin geschlummert haben, um jene Form von nostalgiedurchdrungener Endzeitpatina anzunehmen, die es braucht, um projekthungrige Kreative zu visionären Aktionen zu animieren, welche dann wiederum innovative Projektentwickler auf den Plan rufen, die dann und so weiter immer das Gleiche.
Am schönsten sind diese Dornröschengebäude immer dann, wenn sie gerade aufgeweckt wurden, noch im Halbschlaf begriffen sind, wenn man beim Betreten das Gefühl hat, der Mensch zu sein, der sie wachküsst, zusammen mit der Handvoll Mitverschworener, die alle den gleichen Wunsch haben: dass dieser Ort immer so bleiben möge, wie man ihn vorgefunden hat, und dass er niemandem sonst gehören möge als den Wachküssern.
Aber dann kommen immer mehr Menschen, und die gehören auch alle zu den Mitverschworenen und wollen auch alle, dass der Ort so bleibt, wie er ist, aber dann ist es schon zu spät, genauso wie wenn man morgens nach dem Aufwachen nicht schnell genug wieder einschläft, um in den Traum zurückzufinden, den man so unbedingt weiterträumen wollte. Die Unantastbarkeit ist überwunden, das Siegel der Zeitkapsel aufgebrochen, die Aura zerstört.
Egal, wie behutsam der „Secret Garden“ saniert werden wird, es wird hier nicht anders sein. Aber vor der Sanierung steht die glücklichmachende Erkenntnis, dass es das überhaupt noch gibt in Berlin, solche Orte, die man einfach entdeckt, weil man einem unbestimmten Impuls folgend in einen Hinterhof läuft und da ein offensichtlich verwaistes Gebäude vorfindet, das einen dazu drängt, es zu betreten, als habe es auf einen gewartet. So ähnlich jedenfalls beschreibt es Entdecker und Projektentwickler Dirk Moritz, und man ertappt sich dabei, neidisch zu sein auf diesen Mann, auf dieses Entdeckerglück.
Die aktuelle Ausstellung, kuratiert von Matthias Held (heldart), hat es schwer, der Macht dieser Räume etwas entgegenzusetzen. Nur eine Arbeit schafft es, sich gegen den Ort zu behaupten – weil sie mit ihm Kontakt aufnimmt: ein schwarzer Grabstein vor dem Eingang, darauf in goldenen Lettern die Inschrift, „Bin gleich zurück“. Ein Paradox als Sinnbild für einen Ort, dessen Erweckung zugleich seinen Tod bedeutet.
Es ist, als wolle der Grabstein am Eingang dem Gebäude sagen, „mach’ dir nichts draus, altes Haus“. Die Unumkehrbarkeit der Dinge ist weniger schmerzhaft, wenn man sie mit Humor nimmt. Trotzdem, wenn man sich einen Grabspruch für dieses Gebäude wünschen dürfte, dann sollte er so lauten: „Ruhe in Frieden, dann wirst du ewig leben“.
„Maximum Self Part 2“, heldart at Secret Garden, supported by Moritz Gruppe GmbH, Gartenstr. 6, 10115 Berlin. Noch bis zum 22.9.2013, täglich 15-19 Uhr.
Alle Fotos: ©Moritz Gruppe GmbH/Ronny Goyn